6.3 Erziehung und Bildung

Die gesellschaftlichen Debatten über Bildung und Erziehung haben sich in den letzten Jahren stark verändert: Galt bis vor Kurzem in Westdeutschland noch die Devise, dass Erziehung in der Familie stattfinde, der Kindergarten für ergänzende Betreuung zuständig sei und mit dem Schuleintritt der Bildungsweg beginne, so werden diese Zuordnungen heute grundlegend in Frage gestellt. Familien begegnen mehr denn je dem Anspruch, die Bildungsfähigkeit der Kinder zu verbessern, den Grundstein für qualifizierte Ausbildungen und höhere Studierquoten zu legen sowie für eine bessere Verwendbarkeit auf dem Arbeitsmarkt („employability“) zu sorgen. Dabei ist Bildung, wie Studienabschlüsse belegen, gerade in Deutschland nach wie vor von der sozialen Herkunft abhängig. Als einer der großen Bildungsträger kann die evangelische Kirche Familien bei der Erziehung im Hinblick auf Wertorientierungen und Identitätsbildung entscheidend unterstützen und Orientierungen bieten.

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„Familie ist der erste und wichtigste Bildungsort“, heißt es in der Kundgebung zur 3. Tagung der 11. EKD-Synode (2010). Daher muss es eine zentrale Aufgabe der Gesellschaft sein, Eltern zu unterstützen und ggf. zu befähigen, diese Aufgabe kompetent wahrzunehmen. Auch die evangelische Kirche und ihre Diakonie als Trägerin zahlreicher Bildungseinrichtungen, die diese Aufgabe z. B. über die evangelische Familienbildung wahrnehmen, tragen eine Mitverantwortung für das Bildungswesen. Zu berücksichtigen ist, dass es vielen Eltern schwerfällt, dem durchaus sich selbst gestellten Auftrag verantwortlich nachzukommen. Dies gilt in besonderer Weise für Eltern, die sich ausgeschlossen fühlen und für sich selbst keine Zukunft sehen, etwa aufgrund der eigenen schwierigen wirtschaftlichen oder auch persönlichen Situation. Daher brauchen Familien in ökonomisch prekären Lebenslagen, bei Arbeitslosigkeit sowie in Krankheitsfällen eine besondere Unterstützung. Alle Eltern wollen das Beste für ihr Kind. Dieser Wunsch und Vorsatz kann jedoch schnell in den Widrigkeiten der Realität verloren gehen. Es kommt also darauf an, die Verantwortung für den Anfang eines neuen Lebens zuversichtlich zu übernehmen und im Blick auf die eigenen Rechte des Kindes kontinuierlich zu stärken.

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Kinder wachsen idealerweise auf in der Erfahrung von liebevoller Begleitung und Fürsorge durch Eltern und ErzieherInnen und gleichzeitig in eigenständiger Auseinandersetzung mit der Umwelt. Aus beidem bildet das Kind seine Identität. Wesentlichste - und anspruchsvolle - Aufgabe der erziehenden Personen ist es, diese Selbstbildungsprozesse zu ermöglichen und zu unterstützen. Je nach Alter und Bedürfnissen des Kindes muss dabei die Balance von Bindung und Schutz einerseits sowie von Eigenständigkeit und Entdeckung von Welt andererseits gefunden werden - mithin im Ausgleich von Bindung und Selbstentwicklung, von Angewiesenheit und Autonomie. Hier spielen Traditionen, kulturelle Muster, aber auch strukturelle Bedingungen und Ressourcen von Familien eine wesentliche Rolle. Erziehung ist daher immer Werte-orientiert und -orientierend. In jeder Interaktion und elterlichen Intervention erfahren Kinder Werte und setzen sich damit auseinander. Um eine eigenständige, gefestigte Wertekompetenz entwickeln zu können, brauchen Kinder positive emotionale Erfahrungen, Grundvertrauen und Selbstwertempfinden. Wo Eltern im Gottvertrauen leben und mit ihren Kindern beten, können sie zugleich lernen, dass Menschen Alltag und Zukunft trotz offener Fragen, Unsicherheiten und Konflikte gestalten können. Das schließt die Anwendung von physischer und psychischer Gewalt als Erziehungsmittel aus sowohl in der Familie als auch in Einrichtungen, denen Kinder anvertraut sind. Je nach Alter beteiligen sich Kinder an der Aushandlung von Regeln und Ordnungen. Schließlich brauchen Kinder offene Erfahrungsräume, Spielmöglichkeiten und sozial und kulturell vielfältige Begegnungen, um unterschiedliche Wertorientierungen kennen zu lernen, zu erproben und eigene Werthaltungen einüben zu können. Daher ist die Beziehung zu Gleichaltrigen schon in frühem Alter wichtig. Dazu gehört das Lernen von und an jüngeren und älteren Kindern sowie die Ermöglichung von sozialem und religiösem Lernen, in dem die Unterschiede von Alter, Geschlecht, Sprache und Kultur sowie unterschiedliche Familienkonstellationen wahrgenommen werden und der Respekt voreinander eingeübt werden. Der Ansatz der Inklusion, der das gemeinsame Aufwachsen von Kindern mit und ohne Behinderungen vorsieht, muss dabei selbstverständlich werden.

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Eine wichtige Rolle bei der Orientierung an Werten kann die religiöse Erziehung übernehmen, die sowohl in der Familie - insbesondere im Generationenverhältnis in der erzählenden und erklärenden Weitergabe der biblischen Überlieferung - als auch in den kirchlichen Bildungseinrichtungen und Gemeinden übermittelt und eingeübt wird. Nach evangelischem, reformatorischem Verständnis gehören Bildung und Glauben auf das Engste zusammen, ist Bildung die Voraussetzung für religiöse Mündigkeit. Zum christlichen Glauben gehört die Fähigkeit, sich selbst und anderen Rechenschaft über diesen Glauben geben zu können; das setzt heute insbesondere Dialogfähigkeit und die Offenheit gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen voraus - mithin die Bereitschaft, sich angesichts bleibender Differenzen der wechselseitig kritischen Auseinandersetzung zu stellen (EKD, Kirche und Bildung, 2009, 59). Auf dem Bildungsweg und im Entwicklungsprozess von Kindern wird es in christlicher Sicht insbesondere darauf ankommen, nicht nur funktionale und ökonomisch verwertbare Kenntnisse zu vermitteln, sondern Fähigkeiten zu wecken und zu stärken, die fürsorglichen Lebensverhältnissen dienen: einer Kultur des Mitgefühls, der Barmherzigkeit und der Hilfsbereitschaft (vgl. EKD, Maße des Menschlichen, 2003, 63).

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Kinder wollen lernen. Sie lernen von Erwachsenen, aber mindestens ebenso viel von anderen Kindern. Noch bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts geschah dies im und um das Haus, auf der Dorfstraße oder im Stadtquartier. Heute leben Familien jedoch in der Regel mit weniger Kindern und oft in einer Umgebung, die die Bedürfnisse von Kindern nicht berücksichtigt (mit gefährlichen Straßen, wenigen Überwegen und ohne Spielplätze und Raum für Fußgänger und Radfahrer). Der Ort für eigenständige Gruppenerfahrungen ist heute die Kinderkrippe und die Kindertagesstätte. Bei den über Dreijährigen besuchen 95% aller Kinder eine Betreuungseinrichtung, bei den Zweijährigen ist es mehr als ein Drittel mit steigender Tendenz. Auffällig sind hier große Unterschiede je nach Region (Ost - West, Stadt - Land, vgl. Bildungsbericht 2012). Inzwischen ist unstrittig, dass der Besuch einer Kindertagesstätte und das Zusammensein mit Gleichaltrigen bzw. in jahrgangsgemischten Gruppen der Entwicklung förderlich sind. Dass dies auch für Jüngere, unter Dreijährige gilt, ist - vor allem in den alten Bundesländern - noch nicht in gleicher Weise akzeptiert. Studien belegen jedoch, dass auch unter dreijährige Kinder - unter der Voraussetzung qualitätsvoller Einrichtungen - von außerhäuslichen Bildungs- und Erziehungsangeboten profitieren, umso mehr, wenn sie aus bildungsbenachteiligten Familien kommen (vgl. NUBBEK 2012). Bis 2013 sollen für ein Drittel der unter Dreijährigen genügend Plätze geschaffen worden sein. Schon dieses Ziel wird angesichts des bisherigen Ausbautempos nur mit Mühe erreicht werden; allerdings hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass die Nachfrage die ursprüngliche Planung bei Weitem übersteigt, und es ist damit zu rechnen, dass dieser Prozess weitergeht.

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Angesichts der Schwierigkeiten der in vielen Fällen finanzschwachen Kommunen, allein das quantitative Ausbauziel zu erreichen, droht die Verbesserung der Qualität der angebotenen Bildungs- und Betreuungsplätze zu kurz zu kommen. Die Finanzierung von Bildungsangeboten fällt bei defizitären Haushalten unter die „Schuldengrenze“, weil Investitionen in Bildung bislang viel zu wenig als Zukunftssicherung begriffen werden. Im Wissen um die vertieften Erkenntnisse über die frühkindliche Entwicklung wird deutlich, dass die Qualifikation der Fachkräfteeine wissenschaftlich fundierte Ausbildung und hohe Beziehungskompetenzen voraussetzt. Damit hat sich das berufliche Anforderungsprofil von Erzieherinnen und Erziehern grundlegend gewandelt. Es wird deshalb unumgänglich sein, neue Ausbildungs-, Fort- und Weiterbildungsangebote zu entwickeln, zumal in anderen europäischen Ländern ein Abschluss auf Fachhochschulniveau als Eingangsvoraussetzung erforderlich ist. Der gegenwärtige Trend, die gestiegene - mitunter auch universitäre - Ausbildungsqualität auf demselben niedrigen Entlohnungsniveau zu belassen, ist beispiellos und wäre in einem von Männern dominierten Berufsfeld undenkbar. Auf neue Herausforderungen und Mehrkosten in diesem Bereich müssen sich nicht nur kommunale, sondern auch kirchliche Träger einstellen. Das ist insbesondere dann nötig, wenn Tageseinrichtungen für Kinder zu Familienzentren weiterentwickelt werden.

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Die Voraussetzungen für Bildungs- und Zukunftschancen von Kindern werden ganz überwiegend im Elternhaus gelegt, sie sind abhängig von Ressourcen, kulturellen Überzeugungen und den Erziehungsstilen der Eltern. Dass Erziehung immer auch soziale Platzierung des Nachwuchses ist, wurde in den international vergleichenden Schulleistungstests (PISA) offenbar, wonach es dem deutschen Schulsystem nicht gelingt, die Benachteiligungen sozialer Herkunft auszugleichen. Die Problematik zeigt sich nicht zuletzt an schichtspezifischen Erziehungsstilen: Bildungsnahe Familien der Mittel- und Oberschichten tendieren zu einem Erziehungsstil, bei dem mit einem großen (manchmal auch zu großen) Engagement Kindern vielfältige Bildungsgelegenheiten ermöglicht werden. Demgegenüber zeigt der Erziehungsstil bildungsungewohnter Eltern eher ein freundliches „Mitlaufen“ der Kinder im Alltag, das auf besondere erziehende oder fördernde Maßnahmen verzichtet. Eine Schlüsselrolle fällt damit der frühen Förderung zu. Gleichwohl ist festzustellen, dass in Kindertagesstätten, Schulen, aber auch im Konfirmandenunterricht, eher an den in bildungsorientierten Mittelschichten üblichen Erziehungsstil und Sprachcodes angeknüpft wird. Damit haben bildungsungewohnte Kinder bereits mit Schuleintritt schlechtere Chancen.

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Umso wichtiger ist es, die Bildungswege der Kinder mit den Eltern und nicht gegen sie zu gestalten. Das Instrument der Erziehungspartnerschaft kann ein vertrauensvolles Zusammenwirken von Elternhaus und den Institutionen der Erziehung und Bildung fördern, wenn beide Seiten auf gleicher Augenhöhe Mitgestaltungsmöglichkeiten haben. Praxiserfahrungen zeigen, dass das Miteinander immer dann gelingt, wenn Eltern regelmäßig und selbstverständlich in die institutionellen Abläufe einbezogen werden. Auf der Basis von Vertrauensbeziehungen gelingt es auch, verunsicherte oder vernachlässigende Eltern auf Beratungs- und Unterstützungsangebote aufmerksam zu machen und sie bei der Inanspruchnahme zu unterstützen. Die gemeinsame, öffentliche und private, Verantwortung für die Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern ist ein wichtiger Bestandteil einer zukunftsorientierten Familienpolitik (11. Kinder- und Jugendbericht, vgl. BMFSFJ 2002).

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Neben dem Bildungsauftrag ist auch im Schulalltag der Aspekt der Erziehung und fürsorglichen Betreuung konzeptionell zu verankern. So haben Schulen auch den Auftrag, sich in Absprache mit den Eltern als Erziehungseinrichtungen und nicht nur als Unterrichtsschule zu verstehen. Diesgeschieht im Blick auf die notwendige Einrichtung von Ganztagsschulen etwa durch das Angebot von Mittagstischen und verlässlichen Programmen über die Mittagszeit hinaus, durch Hausaufgabenhilfen und die Zusammenarbeit mit Vereinen und Elterninitiativen. Ein an der Herausbildung von Stärken und Fähigkeiten orientierter pädagogischer Ansatz, der sich durch eine enge und wertschätzende Kooperation mit Eltern auszeichnet und bereits in vielen evangelischen Kindertageseinrichtungen erfolgreiche Umsetzung findet, muss auch im Bereich der Schule Anwendung finden. Kirchliche Kindertagesstätten und Schulen, gemeindliche Angebote wie Kindertreffs und Konfirmandenarbeit, die kirchliche Jugend- und Freizeitarbeit stehen nicht in Konkurrenz zu Familie und Schule. Vielmehr sollten sich Kirche und Gemeinden als Partnerinnen der Familien verstehen und die Schulen in ihre Angebote einbeziehen. Denn die Erziehungs- und Bildungsaufgaben der Gegenwart beziehen sich auf schulische wie außerschulische Bereiche. Hierbei bilden die Familie, das Zusammenleben der Generationen und das Zusammenleben mit Menschen anderer Herkunftskulturen besondere Prüfsteine zivilgesellschaftlicher Lernkultur (vgl. EKD 2003, 89).

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Der Konfirmandenunterricht ist nach wie vor ein wichtiges Handlungsfeld der Kirche, in dem in jüngerer Zeit vielfältige innovative Formen der Kooperation und der Vernetzung mit evangelischer Jugendarbeit entwickelt wurden. Konfirmandenarbeit ist ein Angebot für junge Menschen, um ihre religiöse Orientierung und „Selbstbildung“ zu fördern und zur Selbstreflexion und Auseinandersetzung mit religiösen Fragen vor dem Hintergrund der eigenen Lebensgeschichte und Sinnfragen anzuregen. Sie erreicht fast alle evangelischen Jugendlichen. Gerade weil es für viele eine erste intensive Begegnung mit dem kirchlichen Christentum ist (vgl. EKD-Handreichung „Kirche und Jugend“ 2010, 52), könnte dieses „Gelegenheitsfenster“ aufmerksamer im Hinblick auf die Möglichkeit von intensivem Kontakt zu jugendlichen Lebenswelten wahrgenommen werden. Darüber hinaus tragen Jugendliche im Konfirmandenunterricht christliche Themen in die Familien hinein und schaffen auch hier neue Möglichkeiten der Erreichbarkeit, die gezielter als Familienthema von Kirchengemeinden genutzt werden könnten. Ebenso wichtig für die kirchliche Kinder- und Jugendarbeit sind gemeindliche Kindergruppen, Schul- und Kindergottesdienste, die heute in vielfältigen Formen von Projekttagen, Kinderbibelwochen bis zu Wochenendfreizeiten angeboten werden. Für viele Kinder bietet sich hier die erste Möglichkeit, biblische Geschichten und Gottesdienste kennen zu lernen und erwachsenen Christen zu begegnen, die sie nach ihrem Glauben fragen können. Immer häufiger sind es auf diesem Hintergrund die Kinder selbst, die sich eine Taufe und die Aufnahme in die Gemeinde wünschen.

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Kinder und Jugendliche mit Behinderungen sollen gemäß der 2006 verabschiedeten UN-Behindertenrechtskonvention gemeinsam mit Kindern ohne Einschränkungen Regeleinrichtungen besuchen. Bildungseinrichtungen sollten gewährleisten, dass alle Kinder am Bildungsangebot teilnehmen können. Dazu müssen nötigenfalls Umbaumaßnahmen stattfinden, technische Hilfsmittel oder spezielles Personal eingesetzt werden. Alle Kinder und Jugendlichen sollen gleichermaßen von Bildungsangeboten profitieren. Das gemeinsame Lernen fördert das Lernen voneinander und unterstützt die Entwicklung sozialer Kompetenzen.

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Die Bildungsprozesse von Kindern verlangen Zeit, die sich auch unter beruflichen Anforderungen und Effizienzdruck nicht verkürzen lässt. Zugleich ist die Entwicklung von Identität und Wertkompetenzen, von Eigenständigkeit und Gemeinschaftsfähigkeit prinzipiell unabgeschlossen. Deshalb bleibt Bildung in einer Gesellschaft des langen Lebens eine lebenslange Aufgabe - für Eltern, Paare, Großeltern oder Paten. Evangelische Familien- und Erwachsenenbildung macht hier Angebote, aber auch die Gemeinde mit ihren verschiedenen Gruppen und Gesprächsangeboten kann ein Ort sein, wo Menschen andere Lebenswirklichkeiten und Perspektiven kennenlernen, gesellschaftliche Veränderungsprozesse diskutieren und gemeinsam Orientierung suchen. Dabei stellen sich für jede Gemeinde und Bildungsinstitution je nach regionaler Anbindung und Situation andere Herausforderungen und Aufgabenschwerpunkte. Dazu wäre es hilfreich, wenn Gemeinden die neuen Anforderungen im Familienleben, die durch Veränderungen wie Wohnortwechsel, lebensphasentypische Krisen, aber auch durch Erfahrungen von Trennung, Scheidung oder Tod zu verkraften sind, begleiten und stützen könnten.

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„Durch Bildung gewinnen Menschen Lebensorientierung, klären sie ihr Selbstverständnis und werden im Glauben sprachfähig. Deshalb steht außer Frage, dass dasjenige Leben, das sich in Lehren und Lernen entfaltet, das überhaupt Gott wohlgefälligste ist (Philipp Melanchthon). Leitbild der Reformatoren ist die Gemeinde von Christinnen und Christen, die die Bibel selber lesen können und von daher ihren Glauben verstehen, in ihm urteilsfähig sind und wissen, auf welchem ?Glaubenswissen? im Sinne grundlegender Erzählungen, Erfahrungen, Traditionen und Bekenntnisse christlicher Glaube und christliche Geschichte beruhen. Aus der so verstandenen Freiheit traten die Reformatoren für ein öffentliches Schul- und Universitätswesen ein“ (Kundgebung 11. Synode der EKD, 3. Tagung Nov. 2010). Bildung für alle und Bildungsgerechtigkeit, ein zur Zeit der Reformatoren revolutionärer Gedanke, sind heute demokratisch geboten. Als Grundsatz evangelischen Bildungsverständnisses bedeutet dies heute umso mehr, für die gleichen Zugangschancen zu jeglicher Bildung einzutreten und besonders diejenigen zu fördern, die schlechtere Startchancen haben.

Debattenbeiträge zu diesem Kapitel

Berliner Symposion: Zwischen theologischer Aussage und sozialgeschichtlicher Lebenswirklichkeit

Die Orientierungshilfe ist zunächst an dem Auftrag zu bemessen, den der Rat der EKD der Kommission gegeben hatte: sie solle über eine kirchliche Perspektive zur Familienpolitik beraten (S. 8). In der öffentlichen Diskussion nach der Veröffentlichung sind vor allem Aspekte thematisiert worden, die nicht eigentlich im Focus der Orientierungshilfe standen. Sie betreffen das Verständnis von Ehe, Sexualität und Lebensformen und fragen nach der den betreffenden Aussagen zugrunde liegenden theologischen, vor allem biblischen Orientierung.

Berliner Symposion: Suggerierte Eindeutigkeit einer komplexen Auslegung

1) "The War over the Family"1 lautet der Titel eines Buches, das die Soziologen Brigitte und Peter L. Berger veröffentlicht haben. Die Überschrift des einleitenden Kapitels lautet: "Die Familie - Ideologisches Schlachtfeld". Wer sich durch die Nachrichten über die Evangelische Kirche in Deutschland seit der Veröffentlichung der Orientierungshilfe liest, kann in der Tat den Eindruck gewinnen, wir befinden uns auf einem Schlachtfeld.

Berliner Symposion: Wie wird Ehe- und Familienethik "schriftgemäß"? Eine Zustimmung zur Orientierungshilfe

Den Voten der Orientierungshilfe, das sei vorweg gestellt, kann ich gut folgen, und ich halte ihre sozialethischen Anliegen für eine angemessene Interpretation und Applikation biblischer Ethik. Nicht verschwiegen sei, dass ich eine präzisere theologische Begründung wünschenswert finde, da der biblische Befund eher narrativ dargestellt wird, mit Unschärfen und Fehlern im Detail.

Berliner Symposion: Die Einleitung von Christoph Markschies

Wenn, lieber Nikolaus Schneider, liebe leitende Geistliche, meine Damen und Herren, liebe Frau Gerber, liebe Herren Härle, Horn und Tanner, den Vorsitzenden der Kammer für Theologie bittet, ein theologisches Symposium zu einer Orientierungshilfe des Rates zu moderieren, dann liegt ja offenbar ein theologisches Problem vor. Sonst hätte an meiner Stelle ja irgendein anderer, irgendeine andere stehen können.

Berliner Symposion: Begrüßung von Nikolaus Schneider

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
herzlich willkommen zum theologischen Symposion des Rates der EKD.

Sie alle haben sich in den letzten Wochen und Monaten auf unterschiedliche Weise mit der Orientierungshilfe des Rates der EKD "Zwischen Autonomie und Angewiesenheit – Familie stärken" auseinandergesetzt. Wir freuen uns über die rege Diskussion innerhalb und außerhalb unserer Kirche zu diesem Papier. Ein kritischer – auch selbstkritischer! – Diskurs über ethische Orientierungshilfen in existentiellen Fragen steht dem Protestantismus gut an.

Nikolaus Schneider: "Das hat mit Zeitgeist-Surferei nichts zu tun"

epd: Bei der Vorstellung des EKD-Familienpapiers haben Sie dazu aufgerufen, gesamtgesellschaftlich eine Debatte zu führen. Die ist nun im vollen Gang. Sind sie damit zufrieden?

Offener Brief: Zehn Fragen an den Rat der EKD

(1) – Bitte informieren Sie über das "Instrumentarium": "Orientierungshilfe" (auch im Unterschied zur "Denkschrift"), über das "procedere" (bis hin zur Verabschiedung), über den Status von EKD-ad-hoc-Kommissionen, über deren Autorität und Legitimation, über die Verbindlichkeit solcher Verlautbarung in den verschiedenen EKD-Gliedkirchen. Es fällt auf, dass von einzelnen führenden EKD-Vertretern aufgrund der heftigen Kritik die vom Rat herausgegebene und verantwortete "Orientierungshilfe" zu einem "Diskussionspapier" herabgestuft werden soll. Was ist denn nun "Sache"?

Offene Fragen

Frau Präsidentin, hohe Synode! Angesichts der Zeitknappheit – ich sehe Ihren mahnenden Blick - möchte ich nur drei, vier Punkte klar stellen. Zunächst einmal danke ich für die Aussprache. Wir sind in einer Kirche der Freiheit, und wir werden in der Orientierungshilfe sogar zur Diskussion und zur Stellungnahme eingeladen. Das haben wir heute getan, und das finde ich richtig und in Ordnung.

Das Papier, darauf will ich noch einmal hinweisen, ist keine Denkschrift, wie es immer wieder heißt. Es ist eine Orientierungshilfe und hat dadurch natürlich auch eine andere Qualität.

Eine Entlastung für Menschen, die mit Brüchen leben müssen

Besonders begrüßt wird die Darstellung der Vielfalt von familialen Lebensformen in der heutigen Gesellschaft. Die Ehe mit Kindern wird in diesem Zusammenhang nur als eine mögliche Lebensform beschrieben, ohne diese zu überhöhen bzw. andere Formen abzuwerten. Vielfältige Familienformen seien bereits in der Bibel beschrieben. Eine Erhebung der Familienform mit Trauschein über alle anderen Familienformen ließe sich aus der Bibel nicht ableiten, wäre geradezu eine Verengung.

Ja zur Vielfalt von Familie!

Zu Berichten über eine Initiative gegen die im Juni präsentierte Orientierungshilfe der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit – Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“ erklärt Christiane Reckmann, Vorsitzende des Zukunftsforum Familie e.V.:

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