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„Familie hat jeder“, betonte die Synode der EKD 2004. Und trotzdem oder gerade deshalb ist es nicht einfach, über Familie zu schreiben. Denn das Thema Familie berührt wesentliche biografische Erfahrungen, in denen unsere kulturelle und religiöse Identität wie unsere Vorstellung von Geschlechterrollen und unser Familienbild selbst geprägt worden sind: Es betrifft aber genauso zentrale gesellschaftliche Fragen wie die demographische Entwicklung, die Erziehung der nächsten Generation und die Versorgung kranker und alter Menschen. Wir bringen tradierte Bilder und Vorstellungen von Familie mit, aber Familie ist kein fixes Gebilde, sondern eine alltägliche Gestaltungsaufgabe, die uns in jeder Lebensphase neu herausfordert und neue Erfahrungen mit sich bringt. Selbst wenn wir über den gesellschaftlichen Wandel von Familie und über sozialpolitische Weichenstellungen nachdenken, kann uns das Thema emotional berühren. Familie bedeutet höchstes Glück, aber auch die Möglichkeit des Scheiterns und Neubeginns und den Wandel von Beziehungen. Wenn wir darüber reden, wird zugleich deutlich, wie unterschiedlich wir durch unsere Erfahrungen geprägt sind, wie unterschiedlich auch unsere Vorstellungen darüber sind, was Familie ausmacht und ausmachen soll.
Im Folgenden wird darauf eingegangen, wie sich das Bild und Ideal von Familie im Laufe der Geschichte veränderte, welche Auswirkungen die historischen Veränderungen für die Rechtsgestalt von Familie hatten und haben und welche Rolle die evangelische Kirche dabei spielt und spielen kann. Denn Familie ist auch sehr eng mit unserem Glauben verbunden: In der Kirche werden Ehen gesegnet, Kinder getauft, Angehörige zu Grabe getragen. Von Trost und Segen erhoffen sich Menschen eine Stärkung ihrer Liebe und Gemeinschaft, die auch in Krisen trägt. Ziel dieses Textes ist deshalb, eine evangelische Verständigung über Ehe, Familie und Partnerschaft im beginnenden 21. Jahrhundert anzuregen. Dabei soll die Spannung zwischen der modernen Suche nach Autonomie und der wechselseitigen Angewiesenheit thematisiert werden. Die Schöpfungsgeschichte beschreibt es mit dem schlichten Satz: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.“ Nicht nur Kinder sind auf ihre Eltern und kranke und pflegebedürftige Familienmitglieder auf Hilfe angewiesen, auch Liebende sind in gleichberechtigter Weise aufeinander angewiesen und gerade so miteinander verbunden. Dabei können sich die wechselseitigen Abhängigkeiten im Laufe des Lebens durchaus ändern. Dass solche Angewiesenheit und wechselseitige Hilfe emotionale Bindung erzeugt und die Erfahrung von Geborgenheit und Heimat in sich birgt, ist eines der Geheimnisse von Familienleben und gesellschaftlichem Zusammenhalt. Menschen wünschen sich Freiheit, aber sie suchen auch Zugehörigkeit.