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Patchwork ist doch keine Theologie!

Viel Kritik zieht das Familienpapier der evangelischen Kirche auf sich. Aber Etliches davon geht am Ziel vorbei. Das Papier ist weder Denkschrift noch Dogma, schreibt Bischof i.R. Johannes Friedrich, ehemals Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, im Magazin chrismon von November 2013.
Veröffentlichung
Freitag, 1. November 2013
chrismon, November 2013

Solchen Streit hatten die Autoren nicht erwartet. Da veröffentlicht die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ein umfangreiches Papier zum hochaktuellen Thema Familienpolitik, eindeutig ein gesellschaftspolitisches Thema. Doch etliche Kritiker lesen es ganz gegen seine Intention, nämlich als theologisches Grundsatzpapier über Ehe und Familie. Während die Kirche ihre Haltung zu den neuen Familienformen – einschließlich der vom Bundesverfassungsgericht thematisierten gleichgeschlechtlichen Partnerschaften – beschreibt und eine familienfreundliche Politik anmahnt (Stichworte: Arbeitszeiten, Bildungschancen, Frauen- und Kinderrechte, Ganztagsschulen), sehen manche Kritiker das Papier als Abschied vom Leitbild Ehe. Damit schießen sie allerdings weit am Ziel vorbei.

Der Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider hat oft genug betont und es auch im Vorwort zu dieser „Orientierungshilfe“  geschrieben: Die vom Rat der EKD beauf­tragten Fachleute sollten „über die kirchliche Perspektive zur Familienpolitik beraten.“ Wir erwarteten ausdrücklich  kein theologisches Papier. Dies hatten wir schon vor vier Jahren in dem EKD-Text „Zum evangelischen Verständnis von Ehe und Eheschließung“ vorgelegt. Deshalb bestand überhaupt keine Notwendigkeit, auch diesmal die Beteuerung in der Vordergrund zu stellen: Die Ehe ist, weiterhin und ungeschmälert, das Leitbild für das Zusammenleben von Christen. Dies war und ist uns selbstverständlich.

Keine Denkschrift, und erst recht kein Dogma

Manche Missverständnisse gehen ganz offensichtlich darauf zurück, dass nicht klar ist, was wir unter einer „Orientierungshilfe“ verstehen. Wir wollten damit einen Beitrag zur sozialpolitischen Familiendebatte aus evangelischer Sicht leisten – mehr nicht. Es ist keine Denkschrift, kein Dogma, keine lehramtliche Verlautbarung. Eine Orientierungshilfe behandelt „eine eng umgrenzte, aktuelle und umstrittene Thematik, für die in Kirche und Gesellschaft nach überzeugenden Argumenten gefragt wird. Orientierungshilfen zielen häufig auf eine umfassende oder begrenzte Handlungsempfehlung (...) im gesellschaftlichen Bereich“ (so die EKD 2008). In der Wertigkeit der verschiedenen möglichen Äußerungsformen kommt eine „Orientierungshilfe“ weit nach einer „Denkschrift“.

Die evangelische Kirche, das hat sie von Anfang klar formuliert, will ihren Beitrag dazu leisten, dass ein „Perspektivenwechsel auch in der Politik“ möglich wird. Es geht unter anderem darum, Prioritäten in der Sozial- und Wirtschaftspolitik neu zu bestimmen und die Familienpolitik als „tragende Säule der Sozialpolitik“ zu verstehen, so der Theologe Klaus Tanner bei einem Symposion zum Familienpapier.

Unsere Kirche lebt von Diskussionen

Allerdings: Wenn unsere Schrift also nur ein begrenztes politisches Ziel hatte – warum findet sich dann darin ein Abschnitt „Theologische Orientierung“, der ja die meiste Kritik auf sich gezogen hat? Wir haben als Rat der EKD die Kritik gerade an diesem Abschnitt wahrgenommen, und natürlich gibt es inhaltliche Punkte, die man theologisch besser hätte begründen  können. Offensichtlich haben wir nicht deutlich genug gemacht, dass es uns um einen Beitrag zur Familienpolitik ging, nicht um eine theologische Neubestimmung von Ehe und Familie. Dass auch hier die Diskussion notwendig und spannend ist, hat das Berliner Symposion gezeigt.

Unsere Kirche lebt von der Diskussion. Sie gibt nicht vor, was Evangelische zu glauben und zu leben haben. Aber sie hat einmal mehr den Anstoß gegeben, mit­einander über wichtige Lebensfragen zu reden. Die Einladung steht!