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Die Vielfalt des Familienlebens nimmt zu. Zwar sind noch 72% der Familien Ehepaare mit Kindern (BMFSFJ 2012, 22), aber angesichts der anhaltend hohen Scheidungsraten sind Familien auf Ehebasis zunehmend Patchwork-Konstellationen mit komplexeren familialen Lebensführungen. Zu den leiblichen Elternteilen kommt in diesen Fällen noch mindestens ein sozialer Elternteil hinzu. Ebenfalls angestiegen ist der Anteil von Alleinerziehenden (19%) und nichtehelichen Lebensgemeinschaften (knapp 9%). Ein großer Unterschied in den Familienformen zeigt sich im Ost-West-Vergleich. In Ostdeutschland machen verheiratete Familien nur noch knapp die Hälfte aus, während es im Westen rund drei Viertel sind. Alternative Lebensformen nehmen zu: Jede vierte Familie im Osten und jede fünfte im Westen ist eine Ein-Eltern-Familie.17% der Familien in Ostdeutschland und 6% der Familien in Westdeutschland sind nichteheliche Partnerschaften (BMFSFJ 2012, 23).

Auch wenn sich das Sorgerecht diesem Wandel angepasst hat und üblicherweise heute im Scheidungsfall beide Eltern das Sorgerecht behalten (vgl. Ziff. 33), so bedeuten diese Veränderungen im Familienleben auch Verunsicherungen insbesondere für Kinder. Eine Trennung oder Scheidung der Eltern führt akut zu einer deutlichen Belastung bei Kindern, langfristig lassen sich bei der überwiegenden Mehrheit keine negativen Folgen feststellen, im Gegensatz zu Familien, in denen Konflikte über Jahre hinweg andauern (Walper/Langmeyer 2008). Für eine gelingende (Wieder-)Herstellung von Verbindlichkeit in den vielfältigen Familienformen und den sich im Laufe einer Familienbiografie mehrfach verändernden Konstellationen stehen oft noch keine angemessenen kirchlichen Rituale zur Verfügung.

Eine weitere Familienform, die stark in der Öffentlichkeit diskutiert wird, sind gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften mit Kindern, so genannten „Regenbogenfamilien“. Bundesweit wird die Anzahl gleichgeschlechtlicher Paare, die in einem gemeinsamen Haushalt leben, auf ca. 70.000 geschätzt, davon ist ein Viertel eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen. Rund 7.000 Kinder leben in Familien, in denen die für sie Fürsorge tragenden Erwachsenen gleichgeschlechtliche Partnerschaften eingegangen sind. (Rupp 2009).

Debattenbeiträge zu diesem Kapitel

Ist die Ehe ein Auslaufmodell? Soziologische und theologische Überlegungen

Dass die EKD-Orientierungshilfe zur Familie eine solch intensive Debatte ausgelöst hat, wird man nur begrüßen können. Die kulturellen Wandlungen in Ehe und Familie in den letzten 60 Jahren sind immens. Beide Institutionen verstehen sich nicht mehr von selbst und bedürfen deshalb der Reflexion. Wenn ich die Reaktionen auf die Orientierungshilfe betrachte, wird deutlich, dass man idealtypisch zwei unterschiedliche Rezipientengruppen differenzieren kann.

Die theologische Orientierung der Orientierungshilfe

Die Verantwortung dafür, dass im Titel meines Referats gleich zweimal das Substantiv „Orientierung“ vorkommt, trägt weder der Veranstalter dieses Symposiums noch ich, sondern sie ergibt sich aus den Formulierungen des Textes, über den ich sprechen soll, eben die Orientierungshilfe des Rates der EKD zum Thema „Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“, die im Juni 2013 unter dem Titel „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit“ veröffentlicht wurde.

Beschluss der EKD-Synode zur Familienpolitik

Die Synode der EKD dankt der Ad-hoc-Kommission und dem Rat der EKD für die Darstellung der Herausforderungen von Familie heute in der Orientierungshilfe „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit“. Nach der Veröffentlichung der Schrift hat eine intensive theologische Debatte dazu stattgefunden. Dabei ist die wesentliche familienpolitische Akzentsetzung des Textes aus dem Blick geraten.

Patchwork ist doch keine Theologie!

Solchen Streit hatten die Autoren nicht erwartet. Da veröffentlicht die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ein umfangreiches Papier zum hochaktuellen Thema Familienpolitik, eindeutig ein gesellschaftspolitisches Thema. Doch etliche Kritiker lesen es ganz gegen seine Intention, nämlich als theologisches Grundsatzpapier über Ehe und Familie.

Lebendig als Du: Die Orientierungshilfe und die Bibelwissenschaft

Familie ist vielfältig. Und der kirchliche Segen gilt verheirateten, unverheirateten, geschiedenen und homosexuellen Paaren, Patchworkfamilien - allen Menschen, die in verbindlichen Beziehungen zusammenleben, füreinander und für andere Verantwortung übernehmen. Er ist nicht auf die klassische heterosexuelle Ehe beschränkt. Denn das würde dem evangelischen Menschenbild widersprechen, das Menschen nicht auf biologische Merkmale, ihre Herkunft und ihr Geschlecht reduziert.

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