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Wie das Recht der ehelichen Lebensgemeinschaft ist auch das Scheidungsrecht 1977 entscheidend verändert worden. An die Stelle des „Schuldprinzips“ ist das Zerrüttungsprinzip getreten, das den Weg zu einverständlichen Scheidungen erleichtert. Auf Antrag eines oder beider Ehegatten kann die Ehe geschieden werden, wenn sie gescheitert ist (§ 1565 BGB). In der Praxis wird das „Scheitern der Ehe“ nicht inhaltlich festgestellt, sondern die Familiengerichte orientieren sich an den gesetzlichen Vermutungen, differenziert nach der Dauer des tatsächlichen Getrenntlebens. Leben die Ehegatten mindestens ein Jahr getrennt und sind beide mit der Scheidung einverstanden, wird die Ehe geschieden. Stellt nur ein Ehegatte einen Scheidungsantrag, kann die Ehe auch gegen den ausdrücklichen Willen des anderen Ehegatten geschieden werden, wenn die Trennungszeit mindestens drei Jahre dauerte (§ 1566 Abs. 2). Dann besteht eine „unwiderlegbare Vermutung“ für das Scheitern der Ehe. Nur in ganz extremen Ausnahmenfällen (§ 1568) kann die einseitige Lösung der Ehe durch eine „Härteklausel“ verhindert bzw. aufgeschoben werden. Das Scheidungsrecht stellt somit die Ehescheidung weitgehend in die Dispositionsfreiheit der Eheleute, indem es die gesetzlichen Voraussetzungen auf ein Minimum beschränkt - das Scheidungsrecht der DDR hatte diesen Schritt bereits seit 1965 vollzogen. Einvernehmliche Scheidungen sind die Regel; Auseinandersetzungen zwischen den Eheleuten haben sich weg von der Schuldfrage hin zu Konflikten um nachehelichen Unterhalt und das Sorge- und Umgangsrecht verschoben.

Debattenbeiträge zu diesem Kapitel

Ist die Ehe ein Auslaufmodell? Soziologische und theologische Überlegungen

Dass die EKD-Orientierungshilfe zur Familie eine solch intensive Debatte ausgelöst hat, wird man nur begrüßen können. Die kulturellen Wandlungen in Ehe und Familie in den letzten 60 Jahren sind immens. Beide Institutionen verstehen sich nicht mehr von selbst und bedürfen deshalb der Reflexion. Wenn ich die Reaktionen auf die Orientierungshilfe betrachte, wird deutlich, dass man idealtypisch zwei unterschiedliche Rezipientengruppen differenzieren kann.

Die theologische Orientierung der Orientierungshilfe

Die Verantwortung dafür, dass im Titel meines Referats gleich zweimal das Substantiv „Orientierung“ vorkommt, trägt weder der Veranstalter dieses Symposiums noch ich, sondern sie ergibt sich aus den Formulierungen des Textes, über den ich sprechen soll, eben die Orientierungshilfe des Rates der EKD zum Thema „Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“, die im Juni 2013 unter dem Titel „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit“ veröffentlicht wurde.

Beschluss der EKD-Synode zur Familienpolitik

Die Synode der EKD dankt der Ad-hoc-Kommission und dem Rat der EKD für die Darstellung der Herausforderungen von Familie heute in der Orientierungshilfe „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit“. Nach der Veröffentlichung der Schrift hat eine intensive theologische Debatte dazu stattgefunden. Dabei ist die wesentliche familienpolitische Akzentsetzung des Textes aus dem Blick geraten.

Patchwork ist doch keine Theologie!

Solchen Streit hatten die Autoren nicht erwartet. Da veröffentlicht die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ein umfangreiches Papier zum hochaktuellen Thema Familienpolitik, eindeutig ein gesellschaftspolitisches Thema. Doch etliche Kritiker lesen es ganz gegen seine Intention, nämlich als theologisches Grundsatzpapier über Ehe und Familie.

Lebendig als Du: Die Orientierungshilfe und die Bibelwissenschaft

Familie ist vielfältig. Und der kirchliche Segen gilt verheirateten, unverheirateten, geschiedenen und homosexuellen Paaren, Patchworkfamilien - allen Menschen, die in verbindlichen Beziehungen zusammenleben, füreinander und für andere Verantwortung übernehmen. Er ist nicht auf die klassische heterosexuelle Ehe beschränkt. Denn das würde dem evangelischen Menschenbild widersprechen, das Menschen nicht auf biologische Merkmale, ihre Herkunft und ihr Geschlecht reduziert.

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