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Besonders umstritten ist der in der Praxis wichtige Unterhaltsanspruch wegen Betreuung gemeinsamer Kinder (§ 1570 BGB). Er wird jetzt grundsätzlich auf einen Basisunterhalt bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes begrenzt. Von den betroffenen Müttern und Vätern (in der Regel sind es jedoch nach wie vor die Frauen) wird eine je nach individueller Betreuungsbedürftigkeit des Kindes abgestufte Berufstätigkeit bis zur Vollzeittätigkeit erwartet. Die Verpflichtung zu einer (Vollzeit-)Erwerbstätigkeit des Elternteils, bei dem die Kinder leben, führt in der Regel zu einer deutlich ungleichen Lastenverteilung beider Elternteile. Diese faktische Doppelbelastung der Alleinerziehenden wird inzwischen von den Familiengerichten berücksichtigt, nicht zuletzt im Hinblick auf die noch immer lückenhafte Ganztagesbetreuung. Nach der neuen Regelung des Unterhaltsrechts bietet eine Ehe auch dann keine Versorgungssicherheit, wenn Frauen zur Erziehung von Kindern im Einvernehmen mit ihrem Ehemann mehrere Jahre aus dem Beruf ausgeschieden waren oder nur in geringem Umfang eigenes Erwerbseinkommen erzielt haben. Erwerbsarbeit ist zum Rollenmodell und zur gesellschaftlichen Verpflichtung für beide Partner geworden. Die angebliche Wahlfreiheit zur Entscheidung über den Umfang der Erwerbsarbeit und die Verteilung der Aufgaben innerhalb einer Partnerschaft wird damit - im Blick auf eine Scheidung - obsolet. Noch ist politisch ungeklärt, wie das im Unterhaltsrecht verordnete Zweiverdienermodell und damit die Sorge für Kinder und Pflegebedürftige neben der Erwerbsarbeit auf Dauer angemessen gewährleistet werden soll. Die Neuregelungen stehen im Widerspruch zum bisher im westdeutschen Familienrecht vertretenen Prinzip der nachehelichen Solidarität und den Rahmenbedingungen der Arbeits- und Sozialpolitik, die nach wie vor Ehen mit einem Alleinverdiener bzw. Hauptverdiener finanziell begünstigen (vgl. dazu weiter unten Kap. 7).

Debattenbeiträge zu diesem Kapitel

Ist die Ehe ein Auslaufmodell? Soziologische und theologische Überlegungen

Dass die EKD-Orientierungshilfe zur Familie eine solch intensive Debatte ausgelöst hat, wird man nur begrüßen können. Die kulturellen Wandlungen in Ehe und Familie in den letzten 60 Jahren sind immens. Beide Institutionen verstehen sich nicht mehr von selbst und bedürfen deshalb der Reflexion. Wenn ich die Reaktionen auf die Orientierungshilfe betrachte, wird deutlich, dass man idealtypisch zwei unterschiedliche Rezipientengruppen differenzieren kann.

Die theologische Orientierung der Orientierungshilfe

Die Verantwortung dafür, dass im Titel meines Referats gleich zweimal das Substantiv „Orientierung“ vorkommt, trägt weder der Veranstalter dieses Symposiums noch ich, sondern sie ergibt sich aus den Formulierungen des Textes, über den ich sprechen soll, eben die Orientierungshilfe des Rates der EKD zum Thema „Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“, die im Juni 2013 unter dem Titel „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit“ veröffentlicht wurde.

Beschluss der EKD-Synode zur Familienpolitik

Die Synode der EKD dankt der Ad-hoc-Kommission und dem Rat der EKD für die Darstellung der Herausforderungen von Familie heute in der Orientierungshilfe „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit“. Nach der Veröffentlichung der Schrift hat eine intensive theologische Debatte dazu stattgefunden. Dabei ist die wesentliche familienpolitische Akzentsetzung des Textes aus dem Blick geraten.

Patchwork ist doch keine Theologie!

Solchen Streit hatten die Autoren nicht erwartet. Da veröffentlicht die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ein umfangreiches Papier zum hochaktuellen Thema Familienpolitik, eindeutig ein gesellschaftspolitisches Thema. Doch etliche Kritiker lesen es ganz gegen seine Intention, nämlich als theologisches Grundsatzpapier über Ehe und Familie.

Lebendig als Du: Die Orientierungshilfe und die Bibelwissenschaft

Familie ist vielfältig. Und der kirchliche Segen gilt verheirateten, unverheirateten, geschiedenen und homosexuellen Paaren, Patchworkfamilien - allen Menschen, die in verbindlichen Beziehungen zusammenleben, füreinander und für andere Verantwortung übernehmen. Er ist nicht auf die klassische heterosexuelle Ehe beschränkt. Denn das würde dem evangelischen Menschenbild widersprechen, das Menschen nicht auf biologische Merkmale, ihre Herkunft und ihr Geschlecht reduziert.

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