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Bei aller Hochschätzung als „göttlich Werk und Gebot“ erklärte Martin Luther die Ehe zum „weltlich Ding“, das von den Partnern gestaltbar ist und gestaltet werden muss. Dies kam liturgisch darin zum Ausdruck, dass nach Luthers Traubüchlein die Eheschließung vor der Kirchentür vollzogen wurde, sodass der anschließende Gottesdienst nicht mit dem Brautpaar, sondern mit dem Ehepaar gefeiert wurde. Die Ehe ist also für die evangelische Kirche kein Sakrament wie Taufe und Abendmahl; sie ist nicht von Jesus selbst eingesetzt und ist keine absolut gesetzte Ordnung, auch wenn wir uns ihre lebenslange Dauer wünschen. In einem Traugottesdienst feiern wir mit dem Paar, mit Freunden und Familien, dass die beiden „sich getraut“, sich den gemeinsamen Weg zugetraut und ihr Leben anvertraut haben, und bitten um Gottes Segen für diese Entscheidung und die gemeinsame Zukunft - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Aus diesem evangelischen Verständnis erwächst eine große Freiheit im Umgang mit gesellschaftlichen Veränderungen, die angesichts der Herausforderungen der eigenen Zeit immer wieder neu bedacht und oft auch erst errungen werden muss. Das zeigt sich im Umgang mit Scheidungen und Geschiedenen genauso wie mit Alleinerziehenden oder auch mit gleichgeschlechtlichen Paaren. Gesellschaftliche Emanzipationsprozesse haben die Ordnungen von Ehe und Familie ebenso verändert wie Geschlechterrollen, Beziehungen und Konventionen. Das geht nicht ohne Verunsicherungen und Auseinandersetzungen vor sich. Vielleicht ist auch deshalb der Wunsch, Liebe verbindlich und verantwortlich zu gestalten und den gemeinsamen Weg unter den Segen Gottes zu stellen, nach wie vor so stark.

Debattenbeiträge zu diesem Kapitel

Ist die Ehe ein Auslaufmodell? Soziologische und theologische Überlegungen

Dass die EKD-Orientierungshilfe zur Familie eine solch intensive Debatte ausgelöst hat, wird man nur begrüßen können. Die kulturellen Wandlungen in Ehe und Familie in den letzten 60 Jahren sind immens. Beide Institutionen verstehen sich nicht mehr von selbst und bedürfen deshalb der Reflexion. Wenn ich die Reaktionen auf die Orientierungshilfe betrachte, wird deutlich, dass man idealtypisch zwei unterschiedliche Rezipientengruppen differenzieren kann.

Die theologische Orientierung der Orientierungshilfe

Die Verantwortung dafür, dass im Titel meines Referats gleich zweimal das Substantiv „Orientierung“ vorkommt, trägt weder der Veranstalter dieses Symposiums noch ich, sondern sie ergibt sich aus den Formulierungen des Textes, über den ich sprechen soll, eben die Orientierungshilfe des Rates der EKD zum Thema „Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“, die im Juni 2013 unter dem Titel „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit“ veröffentlicht wurde.

Beschluss der EKD-Synode zur Familienpolitik

Die Synode der EKD dankt der Ad-hoc-Kommission und dem Rat der EKD für die Darstellung der Herausforderungen von Familie heute in der Orientierungshilfe „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit“. Nach der Veröffentlichung der Schrift hat eine intensive theologische Debatte dazu stattgefunden. Dabei ist die wesentliche familienpolitische Akzentsetzung des Textes aus dem Blick geraten.

Patchwork ist doch keine Theologie!

Solchen Streit hatten die Autoren nicht erwartet. Da veröffentlicht die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ein umfangreiches Papier zum hochaktuellen Thema Familienpolitik, eindeutig ein gesellschaftspolitisches Thema. Doch etliche Kritiker lesen es ganz gegen seine Intention, nämlich als theologisches Grundsatzpapier über Ehe und Familie.

Lebendig als Du: Die Orientierungshilfe und die Bibelwissenschaft

Familie ist vielfältig. Und der kirchliche Segen gilt verheirateten, unverheirateten, geschiedenen und homosexuellen Paaren, Patchworkfamilien - allen Menschen, die in verbindlichen Beziehungen zusammenleben, füreinander und für andere Verantwortung übernehmen. Er ist nicht auf die klassische heterosexuelle Ehe beschränkt. Denn das würde dem evangelischen Menschenbild widersprechen, das Menschen nicht auf biologische Merkmale, ihre Herkunft und ihr Geschlecht reduziert.

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