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Eine gleichberechtigte Aufteilung der Familien- und Erwerbsarbeit wird bislang zu wenig vorgelebt, sie ist zudem in Gesellschaft, Öffentlichkeit und Erwerbsleben weder akzeptiert noch institutionalisiert. Trotz der bemerkenswerten Veränderung der Einstellungen von Männern insgesamt und Vätern im Besonderen, wird die Versorgung und Erziehung von Kindern sowie die Alltagsarbeit immer noch überwiegend von Frauen geleistet. Denn obwohl Frauen und Männer im jungen Erwachsenenalter heute im Hinblick auf ihre Ausbildung und ihre Lebenskonzepte gleiche Voraussetzungen mitbringen, wie niemals vorher, übernehmen Frauen, sobald Kinder geboren werden, den Hauptteil der Familien- und Hausarbeit und stellen ihre beruflichen Ambitionen zumindest zeitweise zurück. Auch Paare mit anfangs partnerschaftlicher Rollenteilung geben diese im Zeitverlauf mit der Geburt von Kindern zugunsten traditioneller Formen auf. Während Frauen ihre Erwerbstätigkeit in der Regel in den ersten zwei Lebensjahren des Kindes vollständig unterbrechen und danach ihre Erwerbstätigkeit meist in Teilzeit wieder aufnehmen, dehnen Väter mit zunehmender Kinderzahl ihre Erwerbstätigkeit aus. Ausschlaggebend für die Rückkehr zur traditionellen Arbeitsteilung sind neben den fehlenden Betreuungseinrichtungen nicht zuletzt die nach wie vor unterschiedlichen Einkommen von Männern und Frauen. Zeitbudget-Studien belegen zudem, dass Frauen, selbst wenn sie ebenfalls erwerbstätig sind, sich intensiver um den Haushalt und die Betreuung der Kinder kümmern als Männer (Statistisches Bundesamt 2003). Ursache ist dabei auch die wachsende Differenz im Einkommen. Vor allem werktags sind viele der überwiegend voll erwerbstätigen Väter für ihre Kinder kaum präsent. Ein erster Schritt, die Arbeitsteilung zwischen den Partnern neu zu organisieren, ist das vom Einkommen abhängige Elterngeld, das auch Vätern die Möglichkeit eröffnet, sich in den ersten Monaten in die Kindererziehung einzubringen, und berufstätige Frauen ermutigt, Kinder mit ihrer Erwerbstätigkeit zu verbinden. Bezieherinnen und Beziehern von Arbeitslosengeld II kommt das Elterngeld allerdings - anders als das vorherige Erziehungsgeld - nicht zugute. Im letzten Quartal 2012 betrug der Anteil Elterngeld beziehender Väter bereits 27%, Tendenz steigend (Statistisches Bundesamt 2012). Doch ganz überwiegend beschränken sich Väter bislang auf die zwei zusätzlich gewährten Partnermonate. Mit der Debatte um Elterngeld und Partnermonate sowie durch allmähliche Veränderungen im Rollenverständnis von Männern entwickelt sich zumindest eine gesellschaftliche Verständigung darüber, dass Familie nicht mehr nur Frauensache ist, sondern beide Geschlechter gleichermaßen angeht.

Debattenbeiträge zu diesem Kapitel

Ist die Ehe ein Auslaufmodell? Soziologische und theologische Überlegungen

Dass die EKD-Orientierungshilfe zur Familie eine solch intensive Debatte ausgelöst hat, wird man nur begrüßen können. Die kulturellen Wandlungen in Ehe und Familie in den letzten 60 Jahren sind immens. Beide Institutionen verstehen sich nicht mehr von selbst und bedürfen deshalb der Reflexion. Wenn ich die Reaktionen auf die Orientierungshilfe betrachte, wird deutlich, dass man idealtypisch zwei unterschiedliche Rezipientengruppen differenzieren kann.

Die theologische Orientierung der Orientierungshilfe

Die Verantwortung dafür, dass im Titel meines Referats gleich zweimal das Substantiv „Orientierung“ vorkommt, trägt weder der Veranstalter dieses Symposiums noch ich, sondern sie ergibt sich aus den Formulierungen des Textes, über den ich sprechen soll, eben die Orientierungshilfe des Rates der EKD zum Thema „Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“, die im Juni 2013 unter dem Titel „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit“ veröffentlicht wurde.

Beschluss der EKD-Synode zur Familienpolitik

Die Synode der EKD dankt der Ad-hoc-Kommission und dem Rat der EKD für die Darstellung der Herausforderungen von Familie heute in der Orientierungshilfe „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit“. Nach der Veröffentlichung der Schrift hat eine intensive theologische Debatte dazu stattgefunden. Dabei ist die wesentliche familienpolitische Akzentsetzung des Textes aus dem Blick geraten.

Patchwork ist doch keine Theologie!

Solchen Streit hatten die Autoren nicht erwartet. Da veröffentlicht die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ein umfangreiches Papier zum hochaktuellen Thema Familienpolitik, eindeutig ein gesellschaftspolitisches Thema. Doch etliche Kritiker lesen es ganz gegen seine Intention, nämlich als theologisches Grundsatzpapier über Ehe und Familie.

Lebendig als Du: Die Orientierungshilfe und die Bibelwissenschaft

Familie ist vielfältig. Und der kirchliche Segen gilt verheirateten, unverheirateten, geschiedenen und homosexuellen Paaren, Patchworkfamilien - allen Menschen, die in verbindlichen Beziehungen zusammenleben, füreinander und für andere Verantwortung übernehmen. Er ist nicht auf die klassische heterosexuelle Ehe beschränkt. Denn das würde dem evangelischen Menschenbild widersprechen, das Menschen nicht auf biologische Merkmale, ihre Herkunft und ihr Geschlecht reduziert.

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