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Eine repräsentative Studie zur Gewalt gegen Frauen aus dem Jahr 2004 zeigt, dass bisherige Schätzungen zum Ausmaß der Gewalt in Paarbeziehungen nach oben zu korrigieren sind. Mindestens jede vierte Frau im Alter von 16 - 85 Jahren (23%), die in einer Partnerschaft lebt oder gelebt hat, hat ein- oder mehrmals körperliche oder – zum Teil zusätzlich – sexuelle Übergriffe durch einen Beziehungspartner erlitten. Zwei Drittel dieser häuslichen Gewalttaten beziehen sich auf mittlere bis schwere und häufige Übergriffe (BMFSFJ 2004, 2011). Deutlich wurde auch, dass häusliche Gewalt nicht auf bestimmte soziale Schichten oder Gruppen beschränkt ist. Allerdings lassen sich für bestimmte Gruppen oder Situationen erhöhte Risiken identifizieren. Diese sind neben wirtschaftlich nicht abgesicherten Verhältnissen vor allem Trennungs- und Scheidungssituationen sowie eine höhere berufliche Position von Frauen in der Partnerschaft ab dem Alter von 45 Jahren. Darüber hinaus sind Frauen mit Migrationshintergrund stärker von körperlicher Gewalt betroffen. Zur häuslichen Gewalt gegenüber Männern gibt es bislang keine repräsentativen Untersuchungen. Pilotstudien zeigen jedoch, dass auch Männer in der Familie Gewalt erfahren - vor allem psychische und vereinzelte, leichtere physische Gewalt. Männer sind jedoch am Arbeitsplatz sowie in der Freizeit höheren Gewaltrisiken ausgesetzt als in der Familie. Das 2002 in Kraft getretene Gewaltschutzgesetz versucht mit der Regelung eines „Platzverweises“ und interdisziplinärer Hilfen die Gewaltspirale in Partnerschaften zu durchbrechen. Auch wenn festzustellen ist, dass häusliche Gewalt weitgehend aus der Tabuzone herausgekommen ist und sich an vielen Orten „Runde Tische“ gegen häusliche Gewalt gebildet haben, fliehen weiterhin jährlich ca. 45.000 Frauen in ein Frauenhaus. Daher bleiben die Bereitstellung eines differenzierten Hilfs- und Unterstützungsangebotes insbesondere auch für besondere Risikogruppen sowie kontinuierliche Aufklärungs- und Informationsarbeit weiterhin eine dringliche Aufgabe. Auch Beratungs- und Hilfsangebote für Täter und auch Täterinnen müssen ausgebaut werden. Nach wie vor fehlt eine verbindliche rechtliche Regelung der finanziellen Grundlage der Frauenhausarbeit und der Interventionsstellen gegen häusliche Gewalt.

Debattenbeiträge zu diesem Kapitel

Ist die Ehe ein Auslaufmodell? Soziologische und theologische Überlegungen

Dass die EKD-Orientierungshilfe zur Familie eine solch intensive Debatte ausgelöst hat, wird man nur begrüßen können. Die kulturellen Wandlungen in Ehe und Familie in den letzten 60 Jahren sind immens. Beide Institutionen verstehen sich nicht mehr von selbst und bedürfen deshalb der Reflexion. Wenn ich die Reaktionen auf die Orientierungshilfe betrachte, wird deutlich, dass man idealtypisch zwei unterschiedliche Rezipientengruppen differenzieren kann.

Die theologische Orientierung der Orientierungshilfe

Die Verantwortung dafür, dass im Titel meines Referats gleich zweimal das Substantiv „Orientierung“ vorkommt, trägt weder der Veranstalter dieses Symposiums noch ich, sondern sie ergibt sich aus den Formulierungen des Textes, über den ich sprechen soll, eben die Orientierungshilfe des Rates der EKD zum Thema „Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“, die im Juni 2013 unter dem Titel „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit“ veröffentlicht wurde.

Beschluss der EKD-Synode zur Familienpolitik

Die Synode der EKD dankt der Ad-hoc-Kommission und dem Rat der EKD für die Darstellung der Herausforderungen von Familie heute in der Orientierungshilfe „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit“. Nach der Veröffentlichung der Schrift hat eine intensive theologische Debatte dazu stattgefunden. Dabei ist die wesentliche familienpolitische Akzentsetzung des Textes aus dem Blick geraten.

Patchwork ist doch keine Theologie!

Solchen Streit hatten die Autoren nicht erwartet. Da veröffentlicht die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ein umfangreiches Papier zum hochaktuellen Thema Familienpolitik, eindeutig ein gesellschaftspolitisches Thema. Doch etliche Kritiker lesen es ganz gegen seine Intention, nämlich als theologisches Grundsatzpapier über Ehe und Familie.

Lebendig als Du: Die Orientierungshilfe und die Bibelwissenschaft

Familie ist vielfältig. Und der kirchliche Segen gilt verheirateten, unverheirateten, geschiedenen und homosexuellen Paaren, Patchworkfamilien - allen Menschen, die in verbindlichen Beziehungen zusammenleben, füreinander und für andere Verantwortung übernehmen. Er ist nicht auf die klassische heterosexuelle Ehe beschränkt. Denn das würde dem evangelischen Menschenbild widersprechen, das Menschen nicht auf biologische Merkmale, ihre Herkunft und ihr Geschlecht reduziert.

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