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Viele Synodalbeschlüsse der letzten Jahre betonen, dass Kirche sich gegenüber erweiterten Familienformen und neuen Leitbildern öffnen muss. Auch die gemeindliche Praxis muss mit der Proklamation der EKD-Synode „Familie haben alle“ ernst machen und sensibler für die bestehende Vielfalt an familiären Lebensformen werden. Angebote für Familien richten sich bislang - manchmal ausdrücklich, manchmal unterschwellig - weitgehend an junge Eltern mit ihren Kindern. Familie reicht aber vom Wochenendvater über das miteinander älter werdende Schwesternpaar und die Patchwork-Familie bis zum kinderlosen Ehepaar mit der von ihm gepflegten Tante; sie alle sollten in der Familienarbeit der Gemeinden vorkommen. Gemeindeangebote sind allerdings häufig auf kontinuierliche Mitarbeit ausgerichtet und können von Familien, die mobil leben, kaum wahrgenommen werden. Auch Gottesdienstzeiten und Kasualien sollten auf den veränderten Lebenswandel Rücksicht nehmen. Es ist heute keine Selbstverständlichkeit mehr, dass Frauen und Männer durch das „Regelangebot“ ihrer Gemeinde mit der evangelischen Kirche in Berührung kommen. Insbesondere die Lebenssituation von Alleinerziehenden, Patchworkfamilien und Singles oder Geschiedenen erfordert veränderte Aktivitäten und Angebote, die eine breite Teilhabe am kirchlichen Leben ermöglichen. Zugangsbarrieren zu evangelischen Gemeinden, dies zeigen die Sinus-Milieu-Studien (Wippermann 2011), bestehen vor allem für berufstätige Männer und Frauen ebenso wie für bildungsferne Familien in Unterversorgungslagen. Voraussetzung für eine familiensensible Gemeindearbeit ist, dass die Verantwortlichen in den Kirchengemeinden die beschriebenen Veränderungen nicht nur wahrnehmen, sondern aktiv in ihre Arbeit einbeziehen. Dabei geht es nicht darum, immer neue Angebote für weitere Zielgruppen zu machen, sondern mit anderen evangelischen Trägern wie Familienbildungsstätten oder diakonischen Einrichtungen zu kooperieren. Die erste und wichtigste Aufgabe ist aber, den Blick zu weiten für das, was Ehe, Lebenspartnerschaft und Familie in der jeweiligen Gemeinde konkret vor Ort ausmacht, um einer Milieuverengung in der Kirchengemeinde vorzubeugen.