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Je selbstverständlicher Ehen zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrundwerden, desto mehr wird es auch darauf ankommen, verschiedene Kulturen und Lebensstile, aber auch verschiedene religiöse Überzeugungen nebeneinander zu respektieren. Fühlten sich viele Familien schon in konfessionsverbindenden Ehen überfordert und oft von den Kirchen allein gelassen, wenn es um die gemeinsame Taufe oder die Eucharistie ging, so ist die Unsicherheit im Blick auf Beschneidung oder Hochzeiten religionsverschiedener Paare doppelt groß. Oft werden die eigenen religiösen Bindungen und Prägungen erst in der Begegnung mit den anderen Konfessionen und Religionen wirklich bewusst. Der häufige Versuch, die religiöse Erziehung an einen der Partner zu delegieren, kann dann kaum gelingen, wenn die religiöse Muttersprache und das gesellschaftliche Umfeld nicht übereinstimmen. Eine Säkularität aber, die die Kinder von allen religiösen Wurzeln ihrer Familien abschneidet, enthält ihnen spirituelle Erfahrungen und Lebenskräfte vor, die gerade für die Beziehungen zu sich selbst und anderen Menschen Bedeutung haben. Bikulturelles Aufwachsen bietet die Chance, Rituale und Lebensdeutungen unterschiedlicher Kulturen und religiösen Lebenszusammenhänge verstehen und deuten zu können und sich auf die Suche nach einer eigenen, gestalteten Religiosität zu begeben. Gerade das Zusammenleben mit anderen Religionen erinnert die säkularisierte Gesellschaft erneut an die religiöse Prägung aller wesentlichen Lebenszusammenhänge - von den Alltagsritualen wie Tisch- und Abendgebeten bis zu Hochzeiten und Beerdigungen.