21

Die mit der Teilung Deutschlands 1949 beginnende Systemkonkurrenz zwischen BRD und DDR bzw. zwischen West- und Ostblock wurde insbesondere auch auf dem Feld der Familienpolitik ausgetragen. Statt auf die bürgerliche Familie für alle setzte die DDR auf Gleichberechtigung durch Erwerbstätigkeit. Die Gleichberechtigung der Frau war durch Art. 7 der DDR-Verfassung von 1949 garantiert und wurde unmittelbar in Kraft gesetzt. Weitere Verfassungsartikel traten unmittelbar für die Lohngleichheit zwischen Mann und Frau (Art. 18), den „besonderen Mutterschutz“, Art. 32, die Gleichstellung der „außerehelich“ geborenen Kinder, Art. 33, sowie „das gleiche Recht auf Bildung und freie Wahl des Berufes“, Art. 35 DDR-Verfassung, ein. Das Mutter- und Kinderschutzgesetz von 1950 ergänzte diese Entwicklung durch die Außer-Kraftsetzung zentraler Bestimmungen des Familienrechts des BGB, z.B. durch die Aufhebung des Entscheidungsrechts des Ehemannes und der elterlichen Gewalt des Vaters, § 1354 BGB und § 1627 BGB, sowie durch die Einführung der Gütertrennung. Die Gleichberechtigung der Frau galt deshalb den Beteiligten als „eine der größten Errungenschaften“ der DDR und wurde durch materielle und soziale Hilfen für Mütter und Kinder sowie seit den 1970er Jahren durch ein ganzes Bündel sozialpolitischer Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestützt. Für die Kinder gab es von Geburt an eine an die Arbeitszeiten der Eltern angepasste soziale Infrastruktur von Kinderkrippen, Kindergärten und Schulhorten - wobei der SED-Staat seine Trägerschaft zur ideologischen Prägung der Kinder mit dem Ziel einer „allseits gebildeten sozialistischen Persönlichkeit“ zu nutzen suchte. Mit der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familie sollte sowohl der „Wille zum Kind“ gestärkt als auch die Rekrutierung der Frauen als Arbeitskräfte ermöglicht werden. Schon 1970 lag die Erwerbsquote ostdeutscher Frauen um 20 Prozentpunkte über der der westdeutschen. 1989 erreichte die Frauenerwerbsbeteiligung fast 90% im Gegensatz zu 55% in Westdeutschland. Diesen sozialen „Errungenschaften“ stand allerdings die gravierende Einschränkung politischer und ziviler Freiheitsrechte gegenüber. Und trotz der selbstverständlichen Gleichberechtigung im Berufsleben ruhte die Hauptlast der alltäglichen Familienarbeit auch in der DDR auf den Frauen. Das erst 1965 verabschiedete Familiengesetzbuch (FGB) ging von einer Identität der Interessen von Staat, Gesellschaft und Familie aus und erklärte die Mitwirkung der Familie bei der „Entfaltung der sozialistischen Persönlichkeit“ zu ihrer Hauptfunktion. Schon damals wurde zunächst durch Rechtsverordnung, dann durch das FGB der Unterhaltsanspruch eines geschiedenen Ehegatten, i. d. R. der Frau, quasi abgeschafft, d.h. allenfalls zeitlich begrenzt bzw. nur bei Bedürftigkeit gezahlt. Für „die Nichtausübung eines Berufs (mussten) gesellschaftlich anerkennenswerte Gründe dafür vorliegen“ (Grandke 1981). Entgegen dieser politischen Zielsetzung blieb die Familie aber für viele eine - wie auch immer gefährdete und kontrollierte - Privatsphäre, in der sich, wie die Bürgerrechtsbewegung und ostdeutsche Frauenbewegung belegen, eigenständige Persönlichkeiten, individuelle Initiativen und Solidarität entwickeln konnten.

Debattenbeiträge zu diesem Kapitel

Berliner Symposion: Zwischen theologischer Aussage und sozialgeschichtlicher Lebenswirklichkeit

Die Orientierungshilfe ist zunächst an dem Auftrag zu bemessen, den der Rat der EKD der Kommission gegeben hatte: sie solle über eine kirchliche Perspektive zur Familienpolitik beraten (S. 8). In der öffentlichen Diskussion nach der Veröffentlichung sind vor allem Aspekte thematisiert worden, die nicht eigentlich im Focus der Orientierungshilfe standen. Sie betreffen das Verständnis von Ehe, Sexualität und Lebensformen und fragen nach der den betreffenden Aussagen zugrunde liegenden theologischen, vor allem biblischen Orientierung.

Berliner Symposion: Suggerierte Eindeutigkeit einer komplexen Auslegung

1) "The War over the Family"1 lautet der Titel eines Buches, das die Soziologen Brigitte und Peter L. Berger veröffentlicht haben. Die Überschrift des einleitenden Kapitels lautet: "Die Familie - Ideologisches Schlachtfeld". Wer sich durch die Nachrichten über die Evangelische Kirche in Deutschland seit der Veröffentlichung der Orientierungshilfe liest, kann in der Tat den Eindruck gewinnen, wir befinden uns auf einem Schlachtfeld.

Berliner Symposion: Wie wird Ehe- und Familienethik "schriftgemäß"? Eine Zustimmung zur Orientierungshilfe

Den Voten der Orientierungshilfe, das sei vorweg gestellt, kann ich gut folgen, und ich halte ihre sozialethischen Anliegen für eine angemessene Interpretation und Applikation biblischer Ethik. Nicht verschwiegen sei, dass ich eine präzisere theologische Begründung wünschenswert finde, da der biblische Befund eher narrativ dargestellt wird, mit Unschärfen und Fehlern im Detail.

Berliner Symposion: Die Einleitung von Christoph Markschies

Wenn, lieber Nikolaus Schneider, liebe leitende Geistliche, meine Damen und Herren, liebe Frau Gerber, liebe Herren Härle, Horn und Tanner, den Vorsitzenden der Kammer für Theologie bittet, ein theologisches Symposium zu einer Orientierungshilfe des Rates zu moderieren, dann liegt ja offenbar ein theologisches Problem vor. Sonst hätte an meiner Stelle ja irgendein anderer, irgendeine andere stehen können.

Berliner Symposion: Begrüßung von Nikolaus Schneider

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
herzlich willkommen zum theologischen Symposion des Rates der EKD.

Sie alle haben sich in den letzten Wochen und Monaten auf unterschiedliche Weise mit der Orientierungshilfe des Rates der EKD "Zwischen Autonomie und Angewiesenheit – Familie stärken" auseinandergesetzt. Wir freuen uns über die rege Diskussion innerhalb und außerhalb unserer Kirche zu diesem Papier. Ein kritischer – auch selbstkritischer! – Diskurs über ethische Orientierungshilfen in existentiellen Fragen steht dem Protestantismus gut an.

Nikolaus Schneider: "Das hat mit Zeitgeist-Surferei nichts zu tun"

epd: Bei der Vorstellung des EKD-Familienpapiers haben Sie dazu aufgerufen, gesamtgesellschaftlich eine Debatte zu führen. Die ist nun im vollen Gang. Sind sie damit zufrieden?

Offener Brief: Zehn Fragen an den Rat der EKD

(1) – Bitte informieren Sie über das "Instrumentarium": "Orientierungshilfe" (auch im Unterschied zur "Denkschrift"), über das "procedere" (bis hin zur Verabschiedung), über den Status von EKD-ad-hoc-Kommissionen, über deren Autorität und Legitimation, über die Verbindlichkeit solcher Verlautbarung in den verschiedenen EKD-Gliedkirchen. Es fällt auf, dass von einzelnen führenden EKD-Vertretern aufgrund der heftigen Kritik die vom Rat herausgegebene und verantwortete "Orientierungshilfe" zu einem "Diskussionspapier" herabgestuft werden soll. Was ist denn nun "Sache"?

Offene Fragen

Frau Präsidentin, hohe Synode! Angesichts der Zeitknappheit – ich sehe Ihren mahnenden Blick - möchte ich nur drei, vier Punkte klar stellen. Zunächst einmal danke ich für die Aussprache. Wir sind in einer Kirche der Freiheit, und wir werden in der Orientierungshilfe sogar zur Diskussion und zur Stellungnahme eingeladen. Das haben wir heute getan, und das finde ich richtig und in Ordnung.

Das Papier, darauf will ich noch einmal hinweisen, ist keine Denkschrift, wie es immer wieder heißt. Es ist eine Orientierungshilfe und hat dadurch natürlich auch eine andere Qualität.

Eine Entlastung für Menschen, die mit Brüchen leben müssen

Besonders begrüßt wird die Darstellung der Vielfalt von familialen Lebensformen in der heutigen Gesellschaft. Die Ehe mit Kindern wird in diesem Zusammenhang nur als eine mögliche Lebensform beschrieben, ohne diese zu überhöhen bzw. andere Formen abzuwerten. Vielfältige Familienformen seien bereits in der Bibel beschrieben. Eine Erhebung der Familienform mit Trauschein über alle anderen Familienformen ließe sich aus der Bibel nicht ableiten, wäre geradezu eine Verengung.

Ja zur Vielfalt von Familie!

Zu Berichten über eine Initiative gegen die im Juni präsentierte Orientierungshilfe der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit – Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“ erklärt Christiane Reckmann, Vorsitzende des Zukunftsforum Familie e.V.:

Seiten