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Ermutigung für das Wagnis familiären Lebens

Beitrag des badischen Landesbischof Dr. Ulrich Fischer für die epd-Dokumentation zum Familienpapier der EKD.
Veröffentlichung
Dienstag, 23. Juli 2013
epd-Dokumentation Nr. 30

Wie dem Inhaltsverzeichnis der Orientierungshilfe unschwer entnommen werden kann, ist dieses Papier vor allem ein familienpolitisches Papier. Mehr als die Hälfte dieser Orientierungshilfe behandelt Herausforderungen und Empfehlungen für die Familienpolitik. Dies deswegen, weil wir darüber besorgt sind, dass in der Sozialpolitik unseres Landes die Stärkung der Familie keine oberste Priorität mehr einnimmt. Hier wollten wir mit der Orientierungshilfe einen Akzent setzen, deswegen auch der Untertitel der Schrift "Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken". So ist auch eine Pointe dieses Textes, dass wir die Generationenbeziehungen in der Familie, die Frage des kulturellen Hintergrunds, die Fragen von Reichtum und Armut in der Familie eigens thematisieren.

Leider ist diese Absicht, die die Orientierungshilfe verfolgt, in der öffentlichen Debatte überhaupt nicht hinreichend zur Geltung gekommen. Vor allem deshalb, weil in Leitmedien wie der FAZ, spiegel-online und der Welt eine Kritik an der Orientierungshilfe in den Vordergrund gestellt wurde, die sich vor allem an der theologischen Orientierung und an anderen Fragestellungen fest macht.

Die Wirklichkeit von Familien ist sehr plural

Folgende Punkte möchte ich benennen, die mir sehr wichtig sind und die ich uneingeschränkt in diesem Text positiv würdigen möchte. Wie schon in biblischen Zeiten so ist auch heute die Wirklichkeit von Familien sehr plural. Familiale Strukturen sind sowohl in der traditionellen Ehe und Familie gegeben wie im Zusammenleben Alleinlebender mit ihren Eltern oder in Familien nach einer Ehescheidung oder in Familien mit Pflegekindern. Diese Pluralität der familiären Konstellationen haben wir als Kirche wahrzunehmen und ihr müssen wir in einem familienpolitischen Papier auch Rechnung tragen. Darum ist ein großer Abschnitt dieses Textes dem Wandel von Familie und Ehe, den sich ändernden rechtlichen Rahmenbedingungen familiären Lebens und der Pluralisierung familiärer Strukturen in unserer Gesellschaft gewidmet. All diese familiären Strukturen, in denen Zusammenleben verbindlich und verlässlich in Treue gestaltet wird, haben wir zu stärken und zu stützen sowohl durch eine entsprechende Sozial- und Familienpolitik wie auch durch unser kirchliches Handeln.

Nun wird diese Wahrnehmung der pluralen familiären Strukturen von manchen als eine Relativierung der traditionellen Ehe, als ein Kurswechsel im Blick evangelischer Ethik auf die Ehe und Familie, als eine Geringschätzung dessen, was monogame lebenslange eheliche Beziehungen an Segensreichem bewirken, verstanden. Dass dieser Eindruck entstehen konnte, beruht wohl vor allem auf der Tatsache, dass in der Orientierungshilfe unterlassen wurde, die traditionelle Ehe und Familie ausdrücklich als "Leitbild" zu bezeichnen.

"Die in der traditionellen Ehe und Familie gelebte Verbindlichkeit und Verlässlichkeit ist nach wie vor der beste Rahmen für das Heranwachsen von Kindern und für das Gedeihen ehelicher Beziehungen"

Dies wurde unterlassen, weil wir uns bei der Verfassung der Schrift selbstverständlich davon haben leiten lassen, dass die in der traditionellen Ehe und Familie gelebte Verbindlichkeit und Verlässlichkeit nach wie vor der beste Rahmen für das Heranwachsen von Kindern und für das Gedeihen ehelicher Beziehungen ist. Dass der Rat der EKD nach wie vor davon ausgeht, dass die traditionelle Ehe Leitidee für alles familiäre Zusammenleben ist, ergibt sich schon aus der Gliederung des Abschnittes 5 "Theologische Orientierung", der mit der Trauliturgie beginnt und mit der Rechtsform der Ehe endet.

Allerdings hat der Rat in dieser Orientierungshilfe insofern einen Perspektivwechsel vorgenommen, als er nicht mehr von der Rechtsform der Ehe ausgehend ihre Normativität für alles familiäre Leben betont, sondern von dem inneren Kern familiären Lebens, der von Verbindlichkeit, Verlässlichkeit und Treue geprägt ist, ausgehend die verschiedenen Gestaltungsformen eines solchen Zusammenlebens in den Blick nimmt. Dass dabei der Eindruck entstehen könnte, dass die traditionelle Ehe eine überkommene und nicht mehr wertzuschätzende Institution darstellt, bedauere ich außerordentlich. Die Absicht des Rates war es jedenfalls nicht, diesen Eindruck zu vermitteln.

Gleichgeschlechtliche Partnerschaften nicht theologisch gleichwertig

Ich gestehe zu, dass hinsichtlich der theologischen Argumentation der Text einige Schwächen enthält. So mag die auf Seite 63f. vollzogene Deutung, dass Martin Luther die Ehe nicht als ein Sakrament, sondern als "ein weltlich Ding" verstanden hat, allzu leicht zu dem Missverständnis führen, dass die Gestaltung des weltlichen Dings Ehe nebensächlich sei. Hier hätte schärfer herausgearbeitet werden müssen, dass dennoch die traditionelle Ehe und Familie Leitbildcharakter für alle Formen des familiären Zusammenlebens haben. Eine weitere Schwäche in der theologischen Argumentation ist darin zu sehen, dass auf Seite 66 zwar der zweite Schöpfungsbericht mit dem Zueinanderzugewiesensein von Mann und Frau zitiert wird, nicht aber der erste Schöpfungsbericht, wo die Generativität von Frau und Mann als Kennzeichen menschlicher Geschöpflichkeit dargestellt wird.

Indem dies unterlassen wird, werden dann auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften, in denen sich Menschen zu einem verbindlichen und verantwortlichen Miteinander verpflichten als "in theologischer Sicht gleichwertig" anerkannt. Diesen Satz halte ich für falsch und habe ihm auch im Rat der EKD deutlich widersprochen. Ich würde stattdessen formulieren: auch verbindlich und verlässlich gelebte homosexuelle Partnerschaften verdienen es, gleichermaßen wertgeschätzt zu werden. Dass sie theologisch gleichgewichtig sind, kann man nach meiner Einschätzung nach dem biblischen Befund nicht sagen.

Auch ich stehe der Orientierungshilfe keineswegs unkritisch gegenüber. Ich möchte aber eindringlich bitten, sie als einen Versuch zu lesen, Menschen zu ermutigen, Familien zu gründen, mit Kindern zusammen Familie zu gestalten, verlässliches und verbindliches Miteinander in  Ehe und Familie zu leben. Insofern ist der Text für mich eine große Ermutigung an alle, die sich auf das Wagnis familiären Lebens einlassen. Und dieser Text ist ein Appell an die Politik, die Familie als Keimzelle gesellschaftlichen Lebens in ihrer Verlässlichkeit zu stärken.