Familie ist mehr als Vater, Mutter, Kind
Heute geht die Braut in Rot. Denn es ist ihre zweite Hochzeit. Mit Anfang fünfzig machen sie und ihr Bräutigam noch mal einen neuen Anfang - so wie viele andere Paare in ihrem Alter. Das Versprechen: Wir bleiben beieinander, bis dass der Tod uns scheidet… Mit Gottes Hilfe. Das hatten sich die meisten von ihnen schon einmal gegeben. Und dann kam das, was sie sich nie gewünscht haben: die Beziehung zerbrach. Manche hatten noch die silberne Hochzeit geschafft, aber die Goldene oder gar die Diamantene wie meine Großeltern, die ist für viele Paare heute in weite Ferne gerückt. Im Durchschnitt überdauern die Ehen derzeit 14 Jahre und sieben Monate.1
Wenn die Braut in Rot und der Mann an ihrer Seite noch einmal heiraten, dann haben die Kinder von ihm und ihr plötzlich zwei Väter und Mütter oder drei bis vier Omas und Opas. Die leiblichen und die sozialen. Manche nennen das Patchworkfamilie. Oft entstehen nach Trennungen Einelternfamilien. Die meisten der über acht Millionen Alleinerziehenden in Deutschland sind Frauen.2
Dieser Ehe- und Familienrealität hat sich der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in einer Orientierungshilfe gestellt. Sie will Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken. Und sie beschreibt, welche praktischen Herausforderungen für die Familienpolitik und für Kirche und Diakonie bestehen.3
Familie ist da, “wo Menschen dauerhaft und generationenübergreifend persönlich füreinander einstehen und Verantwortung übernehmen“4 hat schon 2010 der westfälische Präses Alfred Buß festgestellt. Und das gilt eben nicht nur für die klassische Mutter-Vater-Kind-Konstellation, sondern genauso für Patchworkfamilien, Einelternfamilien oder Singles. Und - es gilt für heterosexuelle wie gleichgeschlechtliche Paare gleichermaßen.
"Vor allem anderen geht es darum, zur Familie Gottes zu gehören oder zum Leib Christi"
Diese Positionierung der Evangelischen Kirche in Deutschland sorgt nun landauf, landab für reichlich Diskussionsstoff. Warum eigentlich? Die Familie war ja immer schon im Wandel. Ein Blick in die Bibel zeigt: Schon damals gab es die unterschiedlichsten Familienmodelle – Jakob heiratet zwei Frauen - Lea und Rahel und bekommt von ihnen und ihren Sklavinnen Kinder. Da trägt Hagar für Sara ein Kind aus – heute heißt das Leihmutter. In einer Haus- und Lebensgemeinschaft leben die Schwestern Maria und Martha.
Der Apostel Paulus tauft Lydia, eine wohlhabende Purpurhändlerin. Sie ist der Vorstand derer, die in ihrem Haus leben und arbeiten. Ob sie verheiratet war erfahren wir nicht.
Jesus selbst sagt zum Thema Familie: „Wer den Willen Gottes tut, ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.“ (Markus 3,35) Damit stehen alle Gemeinschaftsformen, in denen Christinnen und Christen leben, in einem größeren Zusammenhang. Vor allem anderen geht es darum, zur Familie Gottes zu gehören oder zum Leib Christi. Erst dann kommt die Frage, „was in je neuen gesellschaftlichen Situationen Formen des Zusammenlebens sind, die der geschwisterlichen Liebe unter Christen am besten entsprechen.“5 Folgt man Jesus, dann geht es darum, dieser Liebe zu entsprechen. Für die da zu sein, die aus den sozialen Netzen der so genannten Kernfamilien herausfallen:6 in der Bibel sind das Witwen, Waisen, die Fremden und die Alten. Heute heißen die aktuelle Herausforderungen: Wer pflegt Oma? Wer erzieht und wer betreut die Kinder? Wie bekomme ich Job und Hausarbeit unter einen Hut? Wie entkomme ich als Alleinerziehende der Armutsfalle?
Die manchmal ausgesprochen scharfe Kritik an der Orientierungshilfe entzündet sich nun aber vor allem an der Neubewertung homosexueller Lebenspartnerschaften.7
Für mich zeigt die gerade an dieser Stelle erbittert geführte Diskussion: Es gibt noch viele Ressentiments in Kirche und Gesellschaft gegen die Gleichstellung von homosexuellen Paaren und auch von heterosexuellen Männern und Frauen, die sich scheiden lassen. Mit der Kritik an der Orientierungshilfe wird jetzt ausgesprochen, was man sonst eher zurückhält. Das kann eine Chance sein: Denn Liebe heißt nicht, diese Diskussion zu ersticken – sondern sie mit Fairness und Offenheit auszutragen.
1 Ausgehend von den derzeitigen Scheidungsverhältnissen werden etwa 37 % aller 2012 geschlossenen Ehen im Laufe von 25 Jahren geschieden (Zahlen des Statistischen Bundesamtes). [zurück]
2 Nach einer Erhebung des Bundesministeriums für Frauen, Soziales, Familie und Jugend (PDF) [zurück]
3 Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung im Interview mit dem epd vom 27. Juni 2013. [zurück]
4 Zitiert nach: Impulsreferat bei der Lippischen Synode am 26.11.2012 in Detmold: Jürgen Ebach: Die Familie aus biblischer Sicht, S. 1. [zurück]
5 Zitiert nach: (methodistische Kirche) Artikel von Volker Kiemle, leitender Redakteur des Kirchenmagazins "unterwegs". [zurück]
6 S.o. Anmerkung 4, S. 8. [zurück]
7 Vgl. dazu s.o. Anmerkung 3. [zurück]
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